Predigt über Gal 6,2
Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.
Liebe Gemeinde,
vor einiger Zeit habe ich einen Mann, Steinhauer von Beruf getroffen. Er ist mit 55 Jahren Frührentner und kann sich vor Schmerzen nur noch mühsam fortbewegen. Wie er mir erzählte, kam das daher, dass er sein Kreuz falsch belastet hat. Die schweren Steine, die schweren Lasten habe er meistens alleine getragen. Das ging halt schneller sagte er mir. Und man musste andere nicht um Hilfe bitten. Ich überlege, wie vielen Menschen es so geht. Lieber alleine machen, es geht halt schneller. Oder: andere nicht um Hilfe bitten müssen – weil man zu stolz ist oder was auch immer.
Ganz anders Paulus: Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Keiner trage seine Last alleine. Tragt die verschiedenen Lasten, die es im Leben so gibt, tragt die miteinander.
Ich sage das in einer Zeit und in einer Gesellschaft, in der viele den Eindruck haben, man denkt vor allem an sich, in der das Miteinander bröckelt und wo man denkt: gerade jetzt kommt es doch besonders auf das Gemeinsame, auf Solidarität und Nächstenliebe an. Paulus schreibt an eine Gemeinde, an die Gemeinde in Galatien. Helft einander, die Lasten zu tragen, die jede und jeder so hat. Euer Miteinander soll darin bestehen, dass ihr euch mit den Fröhlichen freut, mit den Traurigen klagt, füreinander betet und miteinander die Lasten teilt.
Wir kennen das Sprichwort: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Und das trifft auch auf die verschiedenen Lasten unseres Lebens zu. Wie gut ist es, wenn man mit der eigenen Last nicht allein bleibt, sondern wenn man sie – mit der Familie, den Freunden oder eben in der Gemeinde miteinander trägt. Wie gut ist es, wenn man mit einem anderen Menschen die Sorgen besprechen kann, die einem belasten.
So werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Ein komischer Nachsatz. Was heißt das Gesetz Christi erfüllen? Irgendwie ist einem schon klar, was es ungefähr heißt, nämlich: einer trage des anderen Last, so handelt ihr im Sinne Jesu. Warum aber dieser Wortlaut? Paulus denkt und schreibt als Jude. Für ihn und für alle Juden ist es wichtig, nach dem Gesetz Gottes zu leben, nach der Tora. Und nun, in und mit Jesus Christus, geht es um ein neues Gesetz, eine neue Tora – im Johannesevangelium sagt Jesus: Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebt. Das Gesetz Jesu, das Gebot Jesu ist die Liebe – oder, wie hier noch konkreter ausgedrückt -: einer trage des anderen Last. Indem man das tut, lebt man im Geist Jesu, in seinem Gebot, in seinem Licht.
Nun gibt es aber unter uns solche, bei denen ist das so: Sie nehmen sich die Last anderer Menschen ganz besonders zu Herzen. So sehr, dass es sie selbst Tag und Nacht bedrückt. Und sie denken: es wäre wichtig, sich da und dort zu engagieren und auch noch dort. Und sie sind verzweifelt, weil sie das alles so nicht schaffen. Wenn ich an solche Menschen denke, dann ist mein erster Gedanke: gut, dass es sie gibt, diejenigen, die so sensibel sind für die Nöte und Lasten anderer. Die sensibel dafür sind, was andere Menschen umtreibt. Die sensibel sind für Not und Unrecht in der Welt, bei uns und weltweit. Die sensibel dafür sind vielleicht aufgrund ihrer Erziehung oder durch den Glauben an Jesus Christus und durch das Gebot der Nächstenliebe.
Aber – und das ist mir jetzt besonders wichtig – der Satz des Paulus heißt nicht: einer trage der anderen Last aller. Es heißt nicht: einer trage alle Last. Welcher Mensch könnte das, die Last vieler oder gar die Last der ganzen Welt zu tragen? Hieße das nicht der eigenen Belastbarkeit zuviel zuzumuten? Auf das eigene Fleisch zu säen, wie es in unserem Abschnitt etwas später heißt?
Zu keinem von uns ist das gesagt: einer trage aller anderen Last. Zu keinem von uns. Und doch wurde es zu einem VON UNS gesagt. Denn es stimmt: einer trug aller anderen Last. Jesus Christus hat am Kreuz die Last aller Menschen getragen. Er trug unsere Last.
Nun ist das ein Satz, der ziemlich abstrakt klingt. Wie soll man sich das vorstellen, dass Jesus Christus die Last aller Menschen am Kreuz getragen hat? Vorhin wurde gesagt: wie gut ist es, wenn wir einen Menschen haben, mit dem wir unsere Sorgen und Lasten besprechen und teilen können. Aber genauso wichtig ist es, dass wir auch abgesehen von Menschen einen haben, zu dem wir mit allem kommen können, was uns beschwert. Zu Jesus. Wie es im Wochenspruch heißt: Alle eure Sorge werfet auf ihn, denn er sorgt für euch. Wie hilfreich ist es, im Gebet alles, was lastet vor ihm aussprechen zu können – Dinge vielleicht, die wir sonst keiner Menschenseele sagen würden. Wie hilfreich ist es zu wissen: wir brauchen uns von unseren Lasten nicht erdrücken lassen. Denn er sorgt für uns.
Ich denke an den Kreuzweg von Jesus, den er gehen musste, damals durch Jerusalem nach Golgatha. Die römischen Soldaten laden ihm das schwere Kreuz auf den Rücken. Das Kreuz, das immer auch ein Sinnbild ist für all das Schwere in unserem Leben, für alle Schuld, die Last der Welt. Jesus muss dieses Kreuz unsere schwere Last durch die ganze Stadt Jerusalem hindurchtragen, bis hin zum Hügel von Golgatha. Und schließlich bricht er unter dieser Last zusammen. Symbolisch: er nimmt das ernst, was uns beschwert, er trägt es nicht wie eine Feder, auf der Fingerspitze. Er nimmt es ernst, unsere Not und unser Versagen – und ich glaube, das ist jedem Menschen ja etwas vom Wichtigsten: dass er oder sie ernst genommen wird, auch in den Sorgen und Lasten. Gott nimmt uns ernst. Und auch bei Jesus ist da im Moment, als er zusammenbricht, einer da, der seine Last trägt. Ein Afrikaner steht am Weg, Simon von Kyrene. Einer, der ihm hilft, sein Kreuz zu tragen. Eine der schönsten Passagen der Passionsgeschichte.
Es gibt ein Bild zu diesem Vers: Einer trage des anderen Last, das ein geistig behindertes Kind gemalt hat. Auf diesem Bild sieht man, wie ein Behinderter einen anderen Behinderten trägt. Das ist ja zunächst einmal erschütternd, wenn es soweit kommt, dass ein Behinderter einen anderen Behinderten tragen muss. Aber es gibt auch noch eine andere Seite dieses Bildes: Wie wichtig ist es für jeden Menschen – und eben auch für Behinderte und Eingeschränkte, dass man gebraucht wird. Dass man in fast jeder Lebenssituation auch mithelfen kann, die Lasten anderer zu tragen. Wir denken manchmal, die haben schon genug an ihrer eigenen Last zu tragen. Die muss man schonen oder betütteln. Aber in den meisten Fällen ist es für uns Menschen doch wichtig, wer wir auch sind, dass wir auch eine Aufgabe, eine Verantwortung übernehmen können, eine Last für andere zu tragen. Das gehört zutiefst zum Menschsein und erst recht zum Christsein dazu.
Jede und jeder soll das tragen und mittragen, was er oder sie tragen kann. Und da ist es nun sicher so, dass die einen mehr und die anderen weniger tragen können. Das gilt übrigens auch gesellschaftlich: wer stark ist, kann mehr tragen als wer schwach ist. Ich denke daran im Blick auf den nächsten Herbst und Winter. Ich denke daran bei steuerlichen Themen. Bei der Verteilung der Güter und der Lasten in der Welt. Wer mehr hat, kann mehr tragen. So dass es zu einem Lastenausgleich kommt.
Ein letztes: mir fällt zu unserem Satz ein Erlebnis ein, das ein Freund von mir erzählt hat. Er war mit zwei Freunden auf einer Hüttenwanderung in den Alpen unterwegs. Jeder hatte einen schweren Rucksack, und so ging es Tag für Tag von Hütte zu Hütte. Aber eines Tages kamen sie an eine Stelle, da war der Weg mittendrin eingebrochen – ein Abgrund tat sich auf. Nur etwa ein bis eineinhalb Meter, dann ging der Weg wieder weiter. Aber über diesen Abgrund musste man springen. Oder auf einen Dorn treten, der im links liegenden Felsen eingelassen war – und dem Halt dieses Dorns vertrauen. Nun sind eineinhalb Meter auf dem Boden nicht so viel. Aber über einen tiefen Abgrund – und mit schwerem Gepäck…. Aber die Alternative wäre gewesen, umzukehren und den ganzen Tag zurückzugehen. Zwei Freunde sagten, wir springen drüber. Aber dem Dritten fehlte der Mut (was man gut verstehen kann). Da sagte einer: Und wenn ich deinen Rucksack nehme, geht es dann?
Ja.
Und so nahm der eine Freund den Rucksack des Dritten auf seine Vorderseite, den eigenen auf den Rücken – und so sind alle drei über den Abgrund gekommen. Abgründe gibt es immer wieder im Leben – und man muss hinüber, man muss manchmal selbst springen und wird nicht einfach hinübergetragen. Aber wie gut, wenn dann ein anderer einem die Last abnimmt. Ein anderer Mensch – oder eben Jesus Christus.
Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Denn er, Jesus Christus, trägt auch unsere Last. Amen